Dr. Adelbert Mühlschlegel (16. Juni 1897 – 29. Juli 1980)[1] war eine Hand der Sache Gottes und berühmter Deutscher Bahá’í aus einer evangelischen Familie. 1920 wurde er Bahá’í und übersetzte Literature und diente als Mitglied im Nationaler Geistiger Rat von Deutschland.
Adelbert Mühlschlegel wurde am 16. Juni 1897 in Berlin geboren. Sein Vater stand als Militärarzt in den Diensten des Königs von Württemberg, seine Mutter war Tochter des Stadtpfarrers von Biberach an der Riß. Während ihm sein Vater, der 1962 hochbetagt starb, den Sinn für Wandern und Geographie, für Ordnung und Pflichterfüllung vermittelte, weckte die Mutter, die 1923, kurz vor Entwicklung des Insulins, der Zuckerkrankheit zum Opfer fiel, in dem jungen Adelbert die Sehnsucht nach geistiger Schau, nach dem beständigen Umgang mit Dichtern, Mystikern und Philosophen und nach selbständigen Bemühungen in dieser Richtung, bei denen ihn seine jüngere Schwester Doris, die in den zwanziger Jahren nach Russland auswanderte und dort 1978 starb, aktiv begleitete. Es muss eine recht fröhliche, urschwäbische Geistigkeit geherrscht haben in diesem Stuttgarter Elternhaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Dann kam der Erste Weltkrieg. Der Abiturient meldete sich freiwillig zum Sanitätsdienst in den von seinem Vater betreuten Frontabschnitten und Lazaretten im Osten. So sammelte er erste Erfahrungen im Beruf des Arztes, mit dem ihn später eine eigentümliche Hassliebe verband: die eine der beiden Seelen, die dem jungen Adelbert als echte m Schwaben in der Brust wohnten, schwebte n den weiten Gefilden des Geistes, fragte man den Jungen, was er werden wollte, sagte er Wanderer und Dichter. Die andere Seele setzte sich mit ihrem Sinn für das Praktische und für den Ethos des Dienstes am Nächsten durch.
Neben dem Medizinstudium in Freiburg, Greifswald und Tübingen standen vielschichtige geistige Bemühungen, so vor allem die Auseinandersetzung mit der Anthroposophie Rudolf Steiners und anderer Strömungen der unruhigen zwanziger Jahre. Ein Höhepunkt, an den er sich gern erinnerte, war eine Tagung in Darmstadt, die Hermann Graf Keyserling für den indischen Dichter und Denker Rabindranath Tagore ausrichtete.
Um dieselbe Zeit wurden der suchende Adelbert Mühlschlegel und seine Mutter von Fräulein Viktoria Schütz, der späteren Frau von Sixtfeld, auf die Bahá'í Lehren aufmerksam gemacht. Spontan war er fasziniert von dieser umfassenden Schau und schrieb an 'Abdu'l-Bahá, der ihm mit folgendem Tablet antwortete:
Sendbrief 'Abdu'l-Bahás an Adelbert Mühlschlegel
Stuttgart zu Händen von Fräulein Viktoria Schütz
Herrn Adelbert Mühlschlegel - auf ihm sei die Herrlichkeit Gottes des Allherrlichen
Er ist Gott!O Du Sohn des Königreiches!Dein Brief ist eingetroffen. Er war wie ein Duftkissen voller Moschus, und als Ich ihn öffnete, verspürte Ich den Odem der Liebe Gottes. Ich hoffe, dass dein Bächlein zu einem Meere werden und im Hauche göttlicher Führung hohe Wellen gen Osten und gen Westen schlägt.Sei deiner Lehrerin höchst verbunden und bekunde ihr herzliche, geisterfüllte Dankbarkeit; denn sie hat den Ruf Gottes deinem Ohr übermittelt und dir ewige Gnade zuteil werden lassen. Erdverbunden warst du und wurdest himmlisch. Im Dunkeln warst du und wurdest erleuchtet. An die Natur warst du gefesselt und wurdet göttlich, und so erlangest du einen Teil an der ewigen Gnade. Sei voll des Glücks und freue dich der Himmlischen Heerscharen und ihrer Melodien.
Meine Hoffnung ist, dass du auf dem Pfade Seiner Heiligkeit Bahá'u'lláh wandelst. Deine verehrte Gattin wird einst zu den Begünstigten an der Schwelle der Einheit gehören und mit dem Auge des Erbarmens angesehen.
Mit dir sei die Herrlichkeit des Allherrlichen.
(gezeichnet in lateinischen Buchstaben)
abdul Baha abbas
Bahji, 16. Oktober 1920
Bald nahm Adelbert aktiv am Leben der deutschen Bahá'í Gemeinde teil. Die frühesten Sporen finden wir im IV. Jahrgang der "Sonne der Wahrheit", wo über einen öffentlichen Vortrag und ein Melodram von ihm anlässlich des dritten deutschen Bahá'í Kongresses im September 1924 in Stuttgart berichtet wird. 1926 heiratet er. Seine Frau Herma Mühlschlegel, geb. Weidle. schenkte ihm zwei Mädchen und drei Jungen, von denen einer als Kind starb. Sie war bis zu ihrem Tod 1964 im Beruf wie in der Bahá'í Arbeit seine engste Mitarbeiterin.
Ein Höhepunkt ihres Lebens im Glauben Bahá'u'lláhs war für Adelbert und Herma Mühlschlegel ihre Pilgerreise 1936 und ihre Begegnung mit Shoghi Effendi. In den langen Jahren des Verbots und der Verfolgung, während der Wirren des Zweiten Weltkriegs zehrten sie von diesem tragenden Erlebnis.
Den Krieg konnte Adelbert Mühlschlegel, zeitweise dienstverpflichtet, in seiner Heimatstadt Stuttgart überstehen, wenn auch mit totalem Bombenschaden und einer Beinnahe-Detonation bei Kriegsende durch die französische Besatzungsmacht.
Dann kam die Zeit des Neubeginns und des Wiederaufbaus. Sie bedeutet für den Dichter und Sprachenfreund neben der Verantwortung im Nationalen Geistigen Rat und vielen Referaten und öffentlichen Veranstaltungen vor allem unermüdliche Übersetzertätigkeit im stillen Studierzimmer.
In der von Bomben verwüsteten Stadt Stuttgart war die große der Familie Mühlschlegel neu zugewiesene Wohnung zugleich ein Zentrum des Bahá'í Lebens, insbesondere eine Anlaufstelle für viele junge Freunde aus Persien, die nach und nach zum Studium nach Deutschland einreisten. Sicher erinnern sich alle wohl des heiteren, humorvollen Lebens der großen Familie, bei der so manche materielle Not nach dem Krieg durch das frohe Wesen der Eltern Adelbert und Herma Mühlschlegel, auch den Kindern, die im Geiste des Dienstes aufwuchsen, zum Sprungbrett für eine höhere geistige Entwicklung wurde. Rasch war immer ein passendes Zitat aus der Weltliteratur zur Stelle, oder wurde eine eigene Hymne gedichtet - viele mögen sich hier mit Freude an die "Mehlpapp-Hymne" zum immer noch einmal der Anzahl der Hungrigen entsprechend gestreckten Sauerkraut erinnern.
Eine besondere Bereicherung waren die vielen Gäste aus dem Ausland, mit denen neben dem wohltuenden geistigen Austausch Adelbert auch immer gerne seine vielen im Selbstunterricht erlernten Sprachen übte. Oft noch gedachte er in seinen letzten Lebensjahren so mancher lustigen Episode bei gemeinsamen Überprüfen der von ihm übersetzten Bücher.
Und auch die mit ihm arbeitenden Freunde werden sich immer wieder an Besonderheiten im Wesen dieses nie untätigen Dieners erinnern, wie zum Beispiel sein besonderes Verhältnis zu Zahlen, mit denen er bis zu seinen letzten Tagebuch-Eintragungen all seine Leistungen festhielt und sie in Prozenten auszudrücken vermochte - aber nicht nur den Zahlen blieb er so treu sondern besonders all den vielen durch gemeinsame Arbeit auf dem Pfade Bahá'u'lláhs innig geknüpften Freundschaften.
Mit seiner Ernennung zur Hand der Sache Gottes im Februar 1952 änderte sich Adelbert Mühlschlegels Leben Schritt für Schritt bis hin zur beständigen Dienstbereitschaft und der umfassenden Hingabe an die Gesegnete Schönheit, von denen das Universale Haus der Gerechtigkeit in seiner Botschaft spricht.
Das Schlüsselerlebnis war für ihn der von Amatu'l-Bahá Rúḥíyyih Khánum übermittlte Auftrag, den gesegneten Körper von Shoghi Effendi, der am 4. November 1957 in London verstorben war, vor der Beerdigung zu waschen. Über sein Erlebnis dieser letzten Stunde mit dem geliebten Hüter schrieb er
an Rúḥíyyih Khánum:
»Es ist in jener Stunde etwas Neues in mir aufgegangen, über das ich jetzt, nach einigen Tagen, immer noch nicht sprechen kann; wohl aber über die Liebe und Weisheit, die ich auf mich einströmen fühlte. Es war eine so starke geistige Schwingung in diesem für
weltliche Augen so ganz andersartigen Raum, wie ich sie wohl stärker in meinem Leben nur an den heiligen Schreinen verspürt hatte. Der erste Eindruck ·war der Gegensatz zwischen dem übrigen
Körper und dem majestätischen, vergeistigten Antlitz, ein die Seele erschütterndes Bild jubelnden Siegens des Ewigen über das Vergängliche.
Das Zweite war, daß ich eine Stunde lang betend und zugleich denkend und sorgfältig handelnd war, also, wie sonst, ach, nur allzu selten, in einem bewußten Zustand heiligen, gottverbundenen
Tuns, als Exercitium, Sinnbild und Extrakt dessen, was ich ,mein
Leben lang und die Menschheit nun tausend Jahre lang tun soll, um »das Reich« hier auf Erden zu errichten.
Das Dritte war, daß ich Glied um Glied waschend und salbend dankte, daß jene geliebten Hände für unser Bündnis geschrieben und gehandelt haben, jene Beine für uns gingen, jener Mund zu uns sprach, jene Stirne für uns dachte, und daß ich dabei betete und meditierte, auch meine Glieder mögen in der kurzen Zeit, die mir noch beschieden ist, diesem Dienen nacheifern.
Das Vierte war, daß ich entsetzt fühlte, wie ich mit unwürdigen Händen diese erhabene Stirne mit Rosenöl zu salben habe, so wie es einst nur hohe Meister ihren Jüngern taten. Und doch, welches
Recht, welcher Auftrag kommt uns, den Lebenden zu, über alle Vergangenheit und alles Vergängliche zu walten, seien sie auch noch so erhaben!
Noch viel Gnade, Liebe und Weisheit waren sonst in dieser Stunde verborgen ...... «
[2]
An den schweren Aufgaben, die den Händen der Sache Gottes als den obersten Sachwaltern des Glaubens mit dem Hinscheiden Shoghi Effendis zufielen, trug Adelbert Mühlschlegel kraftvoll mit. Seine Arztpraxis aufgebend, weilte er mehrere Monate im Heiligen Land, um dann später diejenigen europäischen
Länder, die noch keine eigenen Nationalen Geistigen Räte hatten, persönlich zu betreuen, bis dort 1962 elf neue Nationale Geistige Räte als weitere Pfeiler des Universalen Hauses der Gerechtigkeit gebildet werden konnten.
Wahl des Universalen Hauses der Gerechtigkeit[Bearbeiten]
Mit der ersten Wahl des Universalen Hauses der Gerechtigkeit an Ridván 1963 waren die Hände der Sache Gottes von den weltweiten administrativen Aufgaben befreit, um sich wieder mit all ihren Bemühungen persönlich der Verbreitung und dem Schutz des Glaubens
zuzuwenden. Nach Tübingen umgesiedelt, widmete sich Adelbert Mühlschlegel zunächst der Pflege seiner inzwischen schwer erkrankten Frau Herma, die im Sommer 1964 verschied, und der Lehrarbeit im süddeutschen Raum.
Im September desselben Jahres verlegte er seinen Wohnsitz nach Österreich, wo der Glauben noch sehr auf Pioniere angewiesen war, und wo er ein Jahr später seine Frau Ursula, geb. Kohler,
heiratete, die von nun an seine eng vertraute Mitarbeiterin sein durfte. Von Wien aus setzte er durch seine immer zunehmende Korrespondenz und durch viele Reisen in Europa seine unentwegte
Ermutigung und Vertiefung der Freunde fort.
Die historische Entscheidung des Universalen Hauses der Gerechtigkeit im Juni 1968 über die Errichtung der Kontinentalen
Beraterämter befreite sein Herz und erfüllte es mit großer Dankbarkeit gegenüber Bahá'u'lláh und dem Universalen Haus der Gerechtigkeit, dieser Institution, der von Anfang an seine tiefe Ergebenheit und Liebe gehörten.
Freudig nahm er 1969 den Auftrag des Universalen Hauses an, sich nunmehr weltweiten Aufgaben zu widmen und nach Persien, Indien, West- und Ostpakistan sowie nach Nepal zu reisen, um dort als eine Hand der Sache Gottes aus dem Westen die Freunde zu besuchen
und zu lehren. Dieser Reise folgten noch weitere ehrenvolle
Aufträge, die ihn durch einen großen Teil Afrikas und Süd-Amerikas
führten, zu deren Eingeborenen und Pionieren - wie zu den Freunden in Indien und überhaupt im gesamten Osten- er eine tiefe Liebe und Verehrung entwickelte, die seinem nach Wiedervereinigung sehnenden Herzen stets tief empfundene Gebete entströmen, ließ, welche sich am Ende seines Lebens ganz besonders auf die so lange leidende
Baha'i-Gemeinde in Persien konzentrierten.
Inzwischen hatte er den Bedürfnissen entsprechend seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt, zu deren aufsteigender Gemeinde so vielfältiger menschlicher Charaktere und landschaftlicher Schönheit ihn bis zum Tode eine innige Liebe verband. Danach, noch einmal für kurze Zeit in Deutschland dienend, empfand er, daß diese, seine Muttergemeinde, durchaus in der Lage ist, ihre Ziele zu erreichen, wenn die Freunde nur lernten, nicht auf ihre eigenen
Schwächen sondern auf die Macht Bahá'u'lláh zu blicken - was die Freunde in Deutschland dann zu Ridván 1978 auch wirklich bewiesen;
Trotz nachlassender Gesundheit siedelte der achtzigjährige Adelbert Mühlschlegel mit seiner Frau nach Griechenland um, in das Land der Wiege der westlichen Zivilisation, dessen alte Philosophen Bahá'u'lláh so hoch gepriesen hatte.
Hier, durch den geschwächten Körper oft bettlägerig und nur noch wenig reisend, widmete er den Hauptteil seiner Zeit dem Studium der Schriften und seinem Buche »Werden und Reifen eines Baha'i«; [3] zu dem er sich angeregt fühlte durch das dritte Hauptziel des Fünfjahresplanes »der Entwicklung der kennzeichnenden Wesensart des Bahá'í-Lebens, dem umfassenden Thema, zu dem dann auch spontan seine geliebten Freunde in Luxemburg ihn um die Niederschrift seiner Gedanken baten.
Immer mehr sich selbst vergeistigend und seinen zahlreichen Gästen in seinem Athener Heim zur Quelle geistiger Erkenntnis während liebevoller Gespräche geworden, erlebte er einen glücklichen, sehr bewußten, geistig reichen Lebensabend, während dem er in ganz besonderem Ausmaß seine Frau Ursula mit einer Liebe umstrahlte und durchdrang, die es ihr, nun ermöglicht, den Kummer des großen persönlichen Verlustes in dieser zärtlichen Liebe dem Willen Gottes dankbar darzubringen.
Diese immerwährende Dankbarkeit und unbedingte, liebevolle strahlende Unterwerfung unter den Willen Gottes und die Befolgung Seiner Gebote, beherrschte so stark während der letzten Lebensjahre sein ganzes Denken und Fühlen, und es wundert nicht,
daß, obwohl er kaum mehr Schreiben konnte, seine letzte Eintragung im so treu geführten Tagebuch nach zwei nicht ganz klar lesbaren Zeilen mit den deutlich geschriebenen Worten »Gottes Wille« endet.
Den Willen und Ratschluss Gottes liebend durfte Adelbert Mühlschlegel während eines der Wiederholung des Größten Namens folgenden kurzen, ruhigen Schlafes die Schwelle zur geistigen Welt überschreiten.
Die am 31. Juli 1980 im protestantischen Sektor des Ersten Friedhofs von Athen stattgefundene blumenreiche Beisetzung wurde von Rolf Haug, dem langjährigen persönlichen Freund des Heimgegangenen in griechischer Sprache durchgeführt und viele der neunzig, aus acht verschiedenen Ländern, anwesenden Freunde verabschiedeten sich dort zum letzten mal mit innig, in
vielen Sprachen gesungen und gesprochenen Gebeten.
Telex des Universalen Hauses der Gerechtigkeit[Bearbeiten]
Betrübten Herzens geben wir das Hinscheiden der geliebten Hand der Sache Gottes Adelbert Mühlschlegel bekannt. Die ganze Baha'i-Welt erleidet einenschmerzlichen Verlust, der besonders in Europa, der hauptsächlichenStätte seiner hervorragenden Dienste für die Sache Gottes empfunden wird.Nachdem er viele Jahre im Nationalen Geistigen Rat von Deutschland gedienthatte, wurde er nach seiner Erhebung in den Rang einer Hand derSache einer der Baumeister der allmählich sichtbar werdenden europäischenBaha'i-Gemeinde; er reiste, er ermutigte, er ließ sich nieder, wo immer dasDienen am dringendsten nötig war, er pionierte schließlich nach Griechenlandund gab seine Seele an seinem Pionierort auf. Seine stete Bereitschaftzu dienen, seine Fähigkeit, die Zuneigung der Gläubigen und anderer gleichermaßenzu geWinnen durch seine liebevolle Güte, seine heitere Demut,~ eine strahlende Fröhlichkeit, sein nie erlahmendes Streben nach Wissenund seine völlige Hingabe an die Gesegnete Schönheit - machen ihn zueinem wunderbaren Beispiel des Baha'i-Lebens.Wir ersuchen die Freunde, aus Anlaß seines Hinscheidens Gedenkfeiernabzuhalten und bitten um gebührende Gedenkandachten in allen Muttertempeln.